Politischer Abend(mahls)Gottesdienst »Aufstand des Vertrauens« am 22.1.2023
von Pfarrer Gerhard Bergner und Pfarrer Markus Franz
Musik
Votum, Begrüßung
So lange die Erde steht, soll nicht aufhören Saat und Ernte, Frost und Hitze, Sommer und Winter, Tag und Nacht.
So lautet die Zusage am Ende der Noah-Erzählung, und damitherzlich Willkommen, liebe Abendgottesdienstgemeinde, herzlich willkommen, hier im Kirchsaal der Bethlehemgemeinde.
Wir feiern einen politischen Abendmahlsgottes-dienst und wir tun das in einer politisch aufgeladenen Zeit.
Vor einer Woche haben uns die Bilder von der Räumung von Lützerath erreicht. Und es wurde diskutiert: Sind die Proteste angemessen, sind sie zu extrem – oder noch zu harmlos?
Kurz vor Weihnachten wurde bekannt, dass der Störversuch eines Fernsehgottesdienstes fehlgeschlagen war. [Hinweis von Jakob im Anschluss: Es war eigentlich kein „Störversuch“!] Die Reaktion war große Empörung, wie können sie es wagen? Mit etwas Abstand muss man sagen: Eigentlich war diese Aktion ein indirektes Kompliment für die Kirchen und ihre Gottesdienste. Wer auch immer die Idee entwickelt hat, war offenbar der Meinung, dass es sich lohnt, einen Gottesdienst zu stören: Dass es sich lohnt, nicht nur weil die Weihnachtsgottesdienste vielen Menschen wichtig sind. Sondern, und das finde ich noch interessanter: Dass es sich lohnt, weil die Menschen in der Kirche aus der Sicht von Aktivist*innen offensichtlich keine hoffnungslosen Fälle sind. Bei denen müsste doch ein Umdenken möglich sein, die müssten doch bereit sein zuzuhören.
Genau aus diesem Grund sind wir heute hier. Wir wollen zuhören.
Und ich freue mich sehr, dass Caris Connell von der „Letzten Generation“ und Luise Ebenbeck von „Extinction Rebellion“ hier sind, um uns an ihren Anliegen Anteil zu geben. Herzlich Willkommen!
Herzlich Willkommen auch allen Mitgliedern der ESG und Pfarrer Markus Franz, diesen Gottesdienst feiern wir gemeinsam, wir haben ihn auch gemeinsam vorbereitet und ich freue mich, dass auch die Nachbarschaft zwischen ESG und Bethlehemgemeinde heute Abend neu belebt wird. Wir wollen einander zuhören, auf Augenhöhe, darum sind die Stühle etwas anders angeordnet als sonst und wir sprechen von hier unten, nicht von oben herab.
Aber wir feiern einen Gottesdienst. Wir hoffen und glauben, dass Gott etwas zu sagen hat zu Klimaschutz und zu politischem Engagement, und wir glauben, dass unsere Gottesdienste und speziell auch die Feier des Abendmahls Kraftquellen sind für unser politisches Handeln.
Damit dieses Handeln nicht im Zorn geschieht, sondern im Vertrauen darauf, dass sich etwas ändern kann und dass Gott uns in unserm Handeln beisteht. Darum lautet auch der Titel dieses Gottesdienstes: Aufstand des Vertrauens.
So lasst uns diesen GD feiern in Gottes Namen: Im Namen des Vaters und des Sohnes und der Heiligen Geistkraft. Amen.
Kurzes Eingangsgebet
Lasst uns beten:
Unser Gott, da sind wir, versammelt zum Gottesdienst, eine bunte Gemeinde, mit unterschiedlichen Erfahrungen und unterschiedlichen Erwartungen. Mit Sorgen angesichts der düsteren Prognosen, aber auch mit trotziger Hoffnung und Widerstandskraft. Noch haben wir den Kampf nicht aufgegeben. Für deine Schöpfung, für den Frieden, für Gerechtigkeit.
Hilf uns, dass wir heute Abend deine Gegenwart erleben. Komm in unser Reden, unser Nachdenken, und vor allem auch in unser Zuhören – dass wir etwas lernen für die Frage, wie wir leben sollen. Dass Verständigung ermöglicht wird und dass unser Vertrauen heute Abend gestärkt wird. Das Vertrauen darauf, dass es sich lohnt für deine Erde einzutreten, mit dir zu kämpfen und dabei nach Verbündeten zu suchen.
Amen.
Lied: EG 432,1-2: Gott gab uns Atem
Psalm 104 in Auszügen
Einleitung zu den Statements
Statement(s) (Caris, Luise)
Kyrie-Ruf SvH 101: Mein Gott, das muss anders werden, 2x mit Stille dazwischen
Lesung: Sintflutgeschichte gekürzt
Lied EG 427 – Solang es Menschen gibt auf Erden
Dialogpredigt zur Sintflutgeschichte
Gerhard
Gnade sei mit euch und Friede von dem, der da war und der da ist und der da kommt: Jesus Christus. Amen.
Liebe Abendgemeinde,
ich glaube, wir müssen es uns eingestehen: Was Charis und Luise uns gerade vorgetragen haben, hält uns einen Spiegel vor. Ja, ich weiß, die meisten von uns haben das nicht zum ersten Mal gehört, aber einige wahrscheinlich doch zum ersten Mal in einem Gottesdienst. Und ich glaube, es macht einen Unterschied, wenn wir diese Worte in einem Gottesdienst hören.
Und darum, vielen Dank, liebe Charis und liebe Luise! Danke für Euren Mut, hierher zu kommen und uns den Spiegel vorzuhalten. Und danke, liebe ESG, dass ihr dieses Thema auch für diesen Gottesdienst aufs Tableau gebracht habt.
Aber, das ist klar: Beim Danke-Sagen soll´s nicht bleiben, ich bin sicher, das wäre auch Euch zu wenig. Wir wollen schon noch ein wenig tiefer schauen, auch dahin, wo es weh tut. Wie konnte es eigentlich dazu kommen, dass wir in der Kirche beim Thema Klima jahrzehntelang geschlafen haben?
Eigentlich hätten wir in der Kirche und zwar in der Breite, nicht bloß ein paar Einzelne, doch die ers-ten sein müssen, die sagen: Stopp, so geht’s nicht weiter! So können wir nicht weiter mit der Erde umgehen, die uns Gott zum Leben gegeben hat? Markus, was ist da eigentlich schief gegangen?
Markus
Gerhard, ich denke, da gäbe es Einiges über das wir ganz neu und gründlich nachdenken müssen.
Zum Beispiel, was es bedeutet, dass wir Geschöpfe Gottes sind, die sich gemeinsam mit anderen Geschöpfen die Erde teilen. Und dass auch die Erde in ihrer Gesamtheit ein Geschöpf ist. Wir haben Schöpfung vielleicht zu materialistisch gedacht und nicht politisch. Ich glaube wir haben diese Gemeinschaft der Geschöpfe auch als Christinnen und Christen nicht wirklich ernst genommen.
Und noch etwas, durch die aktivistischen und wissenschaftlichen Stimmen haben wir, glaube ich, vor allem etwas über die Verletzlichkeit der Erde gelernt. Das haben wir irgendwie übersehen. Und vielleicht waren wir von der schieren Fülle und dem Reichtum der Schöpfung – welche ja tatsächlich ein Zeichen der unermesslichen Güte Gottes ist – so beeindruckt, dass wir dachten, all das kennt keine Grenzen. Unbegrenztes Wachstum sei möglich. Die Wirtschaft will uns mittlerweile sogar glauben machen, dass unbegrenzten Wachstum notwendig ist.
Ich will glauben, dass es genug und reichlich für alle gäbe, aber dass es doch begrenzt ist und dass wir nicht verschwenderisch und leichtfertig mit der Schöpfung umgehen sollten. Auch da stehen wir ja in einer schwierigen Tradition mit dem Satz „Seid fruchtbar und mehret euch und machet euch die Erde untertan.“
Gerhard:
Du meinst den Satz aus der Schöpfungsgeschichte?
Markus:
Ja, genau!
Gerhard
Spannend! Denn genau dieser Satz taucht ja am Ende der Noah-Geschichte nochmal auf. Als Noah aus der Arche steigt. Exakt die gleichen Worten wie schon damals ganz am Anfang: Seid fruchtbar, vermehrt euch und füllt die Erde. Aber dann wird etwas weggelassen: „Machet euch die Erde untertan“. Das wird nicht noch einmal wiederholt, offenbar ist dieses Ende zu gefährlich. Und es wäre ja auch wirklich schräg, so kurz nach einer Sintflut.
Stellen wir uns doch mal vor: Da klettert Noah aus der Arche, nachdem die ganze Welt von einer Sintflut heimgesucht wurde. Nachdem er die Kräfte des Himmels und der Erde, also der Natur, so unmittelbar erlebt hatte. Und dann soll er sich die Erde untertan machen? Die Erde, die gerade erst alle Lebewesen bis auf ein paar wenige ausnahmslos vertilgt hat? Na, dann, viel Glück!
Von der Sintflut her ist klar, dass ein angemessener Umgang mit Gottes Schöpfung nicht in der rück-sichtslosen Ausübung irgendeines Herrschaftsauftrags bestehen kann. Die erste Frage im Umgang mit der Erde kann nach einer Sintflut nicht mehr lauten: Wie kann ich aus der Erde möglichst viel herausholen? Sondern eher: Wie kann ich so leben, dass mir die Erde gewogen bleibt und ich nicht zum Spielball ihrer Kräfte werde?
Von der Sintflut her ist klar: Wenn wir nicht sorgsam mit der Erde umgehen, dann wird das riskant. Und: Wir verstoßen damit gegen Gottes Willen. Gott sagt am Ende der Noah-Geschichte: Ich will hinfort die Erde nicht zerstören. Sie soll bestehen bleiben.
Wenn wir mit unserm klimaschädlichen Verhalten unsern Planeten ins Verderben führen, dann handeln wir entgegen der Verheißung, die uns Gott gegeben hat.
Markus
Das ist ein spannender Gedanke. Müssen wir nicht zugeben, dass die heutigen Klimaaktivist:innen uns als Christ:innen und Christen persönlich, aber auch uns als Kirche, als Institution mit einer Geschichte, einer Tradition und einem hohen Anspruch, den Spiegel vorhalten!
Ich frage mich, ob sie vielleicht, wie die Propheten des Alten Testamentes sind? Menschen, die mutig ausgesprochen haben, was schief läuft? Die auch versucht haben mit Aktionen und Zeichenhandlungen, die Herrschenden, aber eigentlich alle Menschen zum Umdenken und Umkehren zu bewegen? Das war damals nicht weniger provozierend als der Aktivismus heute!
„Ich hasse und verachte eure Feste und mag eure Versammlungen nicht riechen […] Tu weg von mir das Geplärr deiner Lieder […] Es ströme aber das Recht wie Wasser und die Gerechtigkeit wie ein nie versiegender Bach.“ So spricht der Prophet Amos im Namen Gottes zur „Kirche“ seiner Zeit.
Vielleicht hätte man es zulassen sollen, dass Aktivist:innen unsere Weihnachtsgottesdienste stören. Es zulassen, dass alle „zur Krippe kommen“ können, wie es der Ankündigungstext jenes besagten Gottesdienstes versprach, um mit der Weihnachtsgeschichte auch zu hören, was die Menschen heute zu sagen haben. Eben uns stören zu lassen und von ungewohnter Seite zur Umkehr rufen lassen.
Gerhard
Du hast Recht, auch wenn der Aufschrei dann natürlich noch viel größer gewesen wäre.
Aber klar ist, dass wir in der Kirche eigentlich kein Problem damit haben dürften, wenn uns jemand zur Umkehr aufruft. Das wissen wir doch längst: Dass wir fehlbare Menschen sind, die sich immer wieder korrigieren lassen müssen. Und ich glaube, darin liegt dann auch ein erster bescheidener, aber doch auch wichtiger Beitrag, den wir aus unserer Tradition in die Klimadiskussion einbringen können.
Von uns in der Kirche könnte man lernen, dass es ok ist, wenn man sich verrannt hat. Wir sind eben nicht Gott! Wir machen Fehler, laufen in Sackgassen. Das ist menschlich und nicht schlimm. Es kommt aber darauf an, dass wir auf die Propheten hören, die uns zur Umkehr rufen.
Natürlich auch, dass wir prüfen, was sie sagen. Aber wenn das, was sie sagen, dazu führt, dass wir erkennen: So geht es nicht weiter! Wir sind mit unserem Konsumverhalten Teil des Problems!
Dann dürften wir in der Kirche eigentlich am wenigsten Probleme damit haben, dass wir uns das eingestehen. Dann müssten wir die ersten sein, die bereit sind, ihren Lebensstil zu hinterfragen. In Sachen Umkehr sind wir eigentlich Expert*innen.
Markus
Stimmt, da haben wir wirklich etwas einzubringen aus den Quellen unseres Glaubens. Etwas, das uns tief in unserem Menschsein, in unserem Denken und Fühlen verändern will und dadurch auch unser Handeln.
Im Blick auf unseren Umgang mit der Erde ist es doch offensichtlich immer wieder dieses „immer mehr“, das toxisch wird. Immer mehr Energiebedarf, immer mehr Erträge durch industrielle Landwirtschaft, immer mehr Güter und Konsum in der Hoffnung damit mehr Freiheit zu spüren. An die Grenzen des Wachstums haben Wissenschaftler:innen des Club of Rome ja schon 1972, also vor 50 Jahren (!) erinnert.
Gottes Wort sagt da: „Lass dir an meiner Gnade genügen!“ (2.Kor 12,9). D.h. lass dir an dem genügen, was dir geschenkt ist, was Du empfängst – auch mit der Erde auf der wir leben, mit Gottes guter Schöpfung. Ich glaube in dieser Genügsamkeit steckt ein Reichtum. Die Frage ist nur, ob wir dazu als Menschen und als Menschheit in der Lage sind.
Gerhard
Mmh, gute Frage. Sie bringt mich nochmal auf die Noah-Geschichte, aber diesmal bewusst mit einem etwas anderen Blick. Wir sind es ja gewohnt diese Geschichte ganz vom Ende her lesen: Und uns mit der Zusage zu beruhigen, dass Gott die Erde nicht zerstören wird.
Wenn uns aber jetzt die Wissenschaftler*innen in beeindruckender Klarheit sagen: Wenn wir so weiter machen, steuern wir auf eine neue Sintflut zu, dann ist es vielleicht angebracht, dass wir noch einmal auf die Menschen schauen, wie sie vor der Sintflut waren.
Was wird denn von denen gesagt, außer dass sie böse waren? Die Antwort lautet: quasi nichts. Kein konkretes Fehlverhalten, kein Wort von Krieg oder Gewalt, eher so das allgemeine egoistische Verhalten nach außen und die selbstsüchtigen Gedanken im Innern – nichts wovon wir sagen könnten, dass wir uns auf jeden Fall und grundsätzlich von ihnen unterscheiden würden.
Das macht mich doch noch einmal nachdenklich, und ich überlege mir, was braucht es, um zu den Gerechten gezählt zu werden, so wie Noah vor der Sintflut: Was braucht es, damit Gott uns sagt: Dich hab ich als gerecht angesehen in deiner Generation? Hast Du dazu noch eine Idee?
Markus
Mmmh, Bonhoeffer hat es einmal so ausgedrückt: „Mag sein, daß der Jüngste Tag morgen anbricht, dann wollen wir gern die Arbeit für eine bessere Zukunft aus der Hand legen, vorher (!) aber nicht.“ Das ist so ähnlich wie Luthers Apfelbäumchen. Vielleicht gilt es heute auch so eine tätige, aktive Hoffnung zu lernen - im Anblick der Abgründe, die sich vor uns auftun - ein abgrundtiefes Vertrauen zu lernen.
Luise, Du hast das vorhin, glaube ich ähnlich gesagt. Wir brauchen keine Hoffnung, die uns vertröstet und die Hände in den Schoß legen lässt! Und vielleicht geht das Ganze nur gemeinsam, mit den wachen Stimmen dieser Zeit, gemeinsam mit Gott und der Erde! Gemeinsam heißt ja, dass wir uns unsere Begrenztheit eingestehen, dass wir Grenzen akzeptieren.
Mir macht auch die Geschichte von Noah Mut. Ich höre darin, dass die Natur, die Schöpfung nicht nur Lebensraum oder Ressource ist, sondern zuerst eine Zusage, ein Versprechen und eine Wohltat und dass Gott nicht will, dass sie zerstört wird! Auch das sollten wir hören, wenn wir beten: „Dein Wille geschehe.“
Amen.
Lied SvH 0125 – Mit der Erde kannst Du spielen (Eine Hand voll Erde) mit Einsammlung Kollekte
Abendmahl
Nun feiern wir gemeinsam Abendmahl. Mit dem, was wir gehört haben. Mit allem, was noch unfertig ist und mit allen Zweifeln, die da sind.
Im Abendmahl erfahren wir Gottes Nähe nochmal anders als sonst, und wir müssen nicht erst fertig sein mit unsern Fragen und Konzepten, sondern dürfen kommen, unvollkommen und mit Zweifeln.
Im Abendmahl genießen wir die Früchte von Gottes Schöpfung. Gott schenkt uns Brot und Wein und er schenkt uns die Gemeinschaft untereinander. So sind wir eingeladen, jeder und jede, die teilnehmen möchte.
Lasst uns beten:
Guter, großzügiger Gott, aus deiner Fülle leben wir, aber wir erkennen auch, dass wir mit der Fülle deiner Schöpfung nicht gut umgehen.
Wir erkennen, dass wir die Kräfte der Natur unterschätzt haben. Wir bitten dich:
Öffne unsre Augen und lass uns in diesem Mahl gestärkt werden. Zur Umkehr, zur Veränderung und dazu, dass wir uns einmischen für den Erhalt deiner Schöpfung.
Gemeinsam beten wir, wie du uns zu beten gelehrt hast …
Dankgebet
Unser Gott, wir danken dir, denn wir sind Gäste gewesen an deinem Tisch und du hast uns gestärkt. Mit Brot und Wein und der Gemeinschaft untereinander.
Wir bitten dich: Lass dieses Mahl und diesen Abend weiterwirken in unsern Alltag, in unsere Gespräche, unsere Pläne, dass sie dem Frieden dienen und von dir gesegnet sind.
Amen.
Lied EG 225 – Komm, sag es allen weiter
Fürbitten (freie Fürbitten, davor Einleitung)
Abkündigungen
Lied SvH 093 – Zünde an dein Feuer
Segen
Lied: 432,3: Gott gab uns Hände
Anschl.: Imbiss mit Kirchenbier