Die Versammlungsfreiheit ist ein hohes Rechtsgut in Deutschland und wird durch die Verfassung geschützt. Die Teilnehmer*innen eines Protestmarsches sind grundsätzlich als Teilnehmer*innen einer friedlichen Versammlung im Sinne von Artikel 8 des Grundgesetzes zu sehen:
1. Alle Deutschen haben das Recht, sich ohne Anmeldung oder Erlaubnis friedlich und ohne Waffen zu versammeln.
2. Für Versammlungen unter freiem Himmel kann dieses Recht durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes beschränkt werden.
Ein Beispiel für Satz 2 ist das jeweils geltende Versammlungsgesetz, das die Modalitäten von Versammlungen in geschlossenen Räumen und solchen unter freiem Himmel regelt. Auch können zur Abwendung von Gefahren weitere Auflagen erlassen werden. Ein Beispiel hierfür war die in dem jeweiligen Bundesland gültige Corona-Schutzverordnung.
Nach dem Versammlungsgesetz des Bundes (wie oben erwähnt können sich aus dem Versammlungsgesetz des jeweiligen Landes ergeben) müssen Versammlungen bei der Versammlungsbehörde oder der Polizei mit einem Vorlauf von mindestens 48 Stunden ( § 14 VersG) angemeldet werden. Sofern der Anlass für die Versammlung kurzfristiger Natur ist (dies kann z. B. eine aktuelle Aussage oder ein Tweet einer Politiker*in sein), kann diese Frist bei einer Eilversammlung auch unterschritten werden. Bei der Anmeldung muss immer eine Person als Versammlungsleiter*in angegeben werden, die ggf. für ein Fehlverhalten der Demonstrant*innen belangt werden kann. Spontanversammlungen, deren Anlass aus einer bestimmten Situation heraus entstehen können, haben naturgemäß keine Versammlungsleiter. Die Entscheidung, ob Bereitschaft besteht, eine Versammlung ggf. auch kurzfristig vor Ort anzumelden, sollte sorgfältig getroffen werden. Notfalls kann die Anmeldung per Telefon bei der Versammlungsbehörde direkt an der Stätte der Aktion als Eilversammlung erfolgen. In Zeiten von Twitter findet sich schnell ein aktuelles Politiker*ìnnen-Statement, gegen das sich zu protestieren lohnt. Als PolKo kannst Du den Teilnehmer*innen des Protestmarschs bei dieser Entscheidung beratend zur Verfügung stehen. Auch bei nicht angemeldeten Protestmärschen kann es für das Verhältnis zur Polizei förderlich sein, wenn wir die Polizei darüber informieren, dass gerade oder in Kürze ein Protestmarsch stattfindet und die Polizei nicht erst von dritter Seite davon erfährt.
Die Polizei ist dazu verpflichtet, friedliche Versammlungen zu schützen. Das gilt auch für nicht angemeldete Versammlungen, solange sie von der Polizei nicht rechtswirksam aufgelöst wurden. Dass bereits der Verstoß gegen die Anmeldepflicht zur Auflösung genügt, wird allgemein als unverhältnismäßig angesehen (vgl. “Brokdorf-Beschluß”). Die Polizei kann also regelmäßig auch nicht angemeldete Versammlungen nicht ohne über die Nichtanmeldung hinausgehende weitere Gründe auflösen. Erst nach förmlicher Auflösung durch die Polizei gilt eine Versammlung als “öffentliche Ansammlung”, von der sich die Teilnehmer nach Aufforderung durch die Polizei entfernen müssen. (Dies könnt ihr z.B. in § 29 des Versammlungsgesetzes des Bundes nachlesen. Schaut hierzu aber auch noch mal in das für euren Fall geltende Versammlungsgesetz).
Gleichwohl muss die Polizei (mögliche) Gefährdungen abwenden und die öffentliche Ordnung aufrechterhalten. Die Polizei ist verpflichtet, nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu handeln: ihre Maßnahmen müssen das mildeste erfolgversprechende Mittel sein. Die Polizist*innen wägen bei ihren Entscheidungen Güter ab – wie z.B. Versammlungsfreiheit versus fließender Verkehr. Entsprechend wird die Polizei daher versuchen, die Situation nach bestimmten Kriterien bewerten:
● Liegt eine Gefährdung vor? (z. B. Gefährdung durch Blockade von Wegen, die in Notfällen genutzt werden müssen oder Gefährdung von Demonstrant*innen durch Autofahrer*innen)
● Wie ist die Verhältnismäßigkeit zwischen Behinderung, Dauer der Versammlung und Demonstrationsrecht einzuschätzen? (z. B. bilden 10 Demonstrant*innen versus 100 Autofahrer*innen ein Missverhältnis. Allerdings ermöglichen z.B. kurze Aktionszeiten den Polizist*innen, trotzdem zugunsten der Versammlung zu entscheiden.)
● Die Polizei kann der Versammlung Auflagen erteilen (anderer Ort, kürzere Zeit, nicht auf der Straße, Notfallgassen etc.). Die Protestmarschleitung entscheidet, inwiefern diese erfüllt werden sollen. Bei Ablehnung der Auflagen besteht die Gefahr, dass die Polizei den Protestmarsch räumt.
Bei Gefährdung kann die Polizei sich entscheiden, die Versammlung aufzulösen. Sie muss das aber ganz eindeutig kommunizieren. Wichtig ist dabei, dass die bloße Änderung des Wortlautes “Versammlung” zu "Ansammlung" nicht genügt, um eine Versammlung auch tatsächlich aufzulösen. Die Polizei muss die Versammlung formal korrekt auflösen.Dafür bedarf es ihrerseits mindestens dreier Aufforderungen, die für alle Teilnehmenden klar verstüändlich sind und in denen die Polizei kommuniziert, dass die Ansammlung zu beenden ist und sich die Teilnehmenden zu entfernen haben. Dann (und erst dann!) stellt die weitere Teilnahme an der Versammlung trotz Auflösung eine Ordnungswidrigkeit zum Beispiel nach § 29 VersG des Bundes dar.
Es ist wichtig, gegenüber der Polizei klarzustellen, dass der Protestmarsch (nicht du) darauf besteht, keine öffentliche Ansammlung zu sein, sondern eine friedliche Versammlung im Sinne des Grundgesetzes. Dies wirkt einer Ahndung der Teilnahme an einer öffentlichen Ansammlung nach Ordnungswidrigkeitengesetz § 113 entgegen.