Bei der Verhandlungsführung befindest du dich im Spannungsfeld dreier Aspekte:
● der Entscheidungskompetenz der Protestmarschleitung
● deiner eigenen Entscheidungskompetenz aufgrund deiner Erfahrung als PolKo
● der Möglichkeit, seitens der Polizei als Versammlungsleiter*in gewertet zu werden.
Eine Gewichtung dieser Aspekte musst du bei jedem Einsatz - evtl. sogar mehrfach - neu vornehmen entsprechend deiner Erfahrungen als PolKo, des Inputs, den du von der Protestmarschleitung bekommst und des Agierens der Einsatzleitung der Polizei (die gerade zu Beginn des Protests durchaus auch wechseln kann).
Die Polizei wird mit Wünschen und Anforderungen an dich herantreten. Manche haben einen konkreten Hintergrund wie Sicherheitsaspekte oder Bedürfnissen von Dritten, andere sind eher verhandlungstaktischer Natur. Unter Umständen kann das in fordernder oder massiver Form erfolgen. Lass dich nicht unter Druck setzen, denn nur selten müssen Dinge wirklich schnell gehen. Auch wenn ein*e Polizist*in sagt “Das Banner muss jetzt sofort runter!” drohen selten sofortige Konsequenzen. Meistens ist das nur eine Gesprächstaktik, um euch empfänglicher für weiteren Druck zu machen.
In einigen Fällen kannst du aufgrund deiner Erfahrungen bis zu einem gewissen Grad selbst Impulse setzen (“Das wird meiner Erfahrung nach den Bürger*innen nicht gefallen. Ich erinnere mich an eine ähnliche Situation, die konnte damals auf folgende Weise gelöst werden: … Wenn das für Sie eine Option darstellt, könnte das den Teilnehmer*innen vorgeschlagen werden.”). Sofern du dir sicher bist, dass du im Sinne der mit der Protestmarschleitung abgestimmten Ziele der Aktion handelst, kannst du deine Autonomie nutzen.
Falls du keine Entscheidung des Protestmarschs weitergeben kannst oder willst, informierst du die Polizei darüber in freundlichem Ton. Du wirst den Wunsch gerne an die weitergeben und den Polizist*innen die Entscheidung kommunizieren, sobald sie vorliegt. Wenn der Entscheidungsprozess zu lange dauert, kann das allerdings dazu führen, dass die Einsatzleitung der Polizei die Geduld verliert und dich nicht mehr als Verhandlungspartner*in auf Augenhöhe akzeptiert.
Sei dir bewusst, dass du als gut vorbereiteter Polizeikontakt vielleicht mehr über Deeskalation weißt, als die Polizei. Oft muss zügig gehandelt werden, um eine Situation zu deeskalieren. Es liegt in deiner Verantwortung, ggf. auch ohne vorherige Absprache Impulse zur Deeskalation zu geben. Kein*e Polizist*in wird dir einen Strick daraus drehen, wenn deine Initiative zu einer Entspannung der Lage geführt hat.
Wenn die Polizei eine Forderung stellt, deren Grund nicht klar nachvollziehbar ist, kannst du die Polizist*innen nach der Rechtsgrundlage der Anforderung fragen.
Mögliche Themen der Gespräche mit der Polizei können z. B. sein:
● Erlaubnis zum Start des Protestmarschs
● Route des Protestmarschs
● Geschwindigkeit des Protestmarschs
● Einzelne Fahrstreifen freigeben (mit Vorsicht zu genießen, kann leicht ausgeweitet werden)
● Möglichkeit Fahrzeuge passieren zu lassen
● Anhalten des Protestmarschs seitens der Polizei
● Möglichkeit den Protestmarsch zum Flyern zu verlassen
● Umgang mit gewaltbereiten Störer*innen (“‘Können wir sie um Hilfe bitten, falls gewaltbereite Störer*innen unserer Versammlung auftauchen?“)
● Bildung einer Notfallgasse stellt eine Ausnahme dar: Dies ermöglichen wir immer ohne Wenn und Aber
● Status der Versammlung (s.u.)
Das Verhältnis zur Polizei lebt von der Verlässlichkeit deiner Zusagen. Also halte Deine Zusagen ein. Falls du dir nicht sicher bist (z. B. ob alle Teilnehmenden wirklich aufstehen werden), kannst du deine Zusagen auch relativieren, z. B. mit “wahrscheinlich”. Falls die Teilnehmenden Zusagen, die sie Dir gegeben haben und die du kommuniziert hast, nicht einhalten wollen, dann erläutere ihnen, dass dies zur Folge haben kann, dass dein Handlungsspielraum sinkt.
Wenn die Polizei euch als Ansammlung bezeichnet, kannst du sagen: "Mir ist aufgefallen, dass sie in Ihren Durchsagen von "Ansammlung" sprechen. Es handelt sich bei diesem Protestmarsch jedoch um eine friedliche Versammlung, die vom Grundgesetz geschützt ist."
Hinweise auf die Störung der öffentlichen Ordnung beantwortest du souverän in der Art:
“Bei dieser Versammlung handelt es sich um einen Protest. Wir verstehen, dass das eine Beeinträchtigung anderer Menschen darstellen kann. Daher versuchen die Teilnehmenden, die Störungen in akzeptablen Grenzen zu halten. Ich erwarte, das in einer Verhältnismäßigkeit zur Anzahl der Teilnehmenden und zur Aktualität des Themas zu betrachten.”
Die Drohung der Polizei "Wir lösen das jetzt auf" beantwortest du zum Beispiel mit dem Hinweis, dass auch für eine unangemeldete Versammlung die Versammlungsfreiheit gilt.