Theorie der Veränderung
Wir leben in einem ökonomischen, politischen und sozialen System, welches katastrophales Leid verursacht. Die Symptome der Klimakatastrophe und des Ökozids sind bereits da, verstärken sich noch weiter und haben den Zusammenbruch der zivilisierten Gesellschaft und noch mehr unvorstellbares Leid zur Folge – bis hin zu unserem möglichen Aussterben.
Wir können als Menschheit auf die existenzielle Krise noch erheblichen Einfluss nehmen (Menschen im Globalen Norden sind als Hauptverursacher:innen besonders in der Verantwortung) - wenn auch mit jedem Moment weniger. Es fallen gerade in diesen nächsten Jahren die Kippelemente, die einen galoppierenden Klimakollaps zur Folge haben und irreversibel sind.
Wir wollen den Kurs des Aussterbens verlassen.
(1) Dieser Zustand der globalen, rassistischen und ökozidalen Ausbeutung wurde durch einen kleinen, superreichen Teil der Menschheit erheblich vorangetrieben. ”Europäische Kolonisator:innen erfanden eine ‘Natur’, die aufgrund ihrer vermeintlichen Unterlegenheit beherrscht und kontrolliert werden müsste. Auf dieser Grundlage beuteten europäische Kolonialmächte die ‘Natur’ in den kolonisierten Gebieten hemmungslos aus. Sie verfolgten das Ziel, massiv Profit zu schlagen sowie ihre globale Machtposition zu sichern und zu festigen.". “Der menschengemachte Klimawandel wurde eben nicht von allen Menschen gleichermaßen verursacht, sondern seine Ursache wurzelt im kolonialen Denken, das weiße Menschen global eingeführt haben und praktizieren.”. “Länder und Menschen des Globalen Nordens sind für den größten Anteil der Treibhausgasausstöße verantwortlich und damit Hauptverursacher:innen sowie Profiteur:innen der Klimakrise. Gleichzeitig sind es jedoch die Länder und Menschen des Globalen Südens, die am stärksten von den Folgen der Klimakrise betroffen sind. Das heißt, nicht nur die Verantwortung für die Klimakrise ist ungleich verteilt, sondern auch ihre Folgen.”. “Die Kosten für den Lebensstil, Profit und die Sicherheit weißer Menschen tragen vorrangig BIPoC [Anmerkung: Black, Indigenous, People of Color] und marginalisierte Menschen sowohl im Globalen Süden als auch im Globalen Norden. Gegen diese Zustände leisten BIPoC und marginalisierte Menschen seit Jahrhunderten aktiven Widerstand und kämpfen bis heute gegen Umweltzerstörung und für ihre Land- und Menschenrechte.”
(2) Durch unser gehorsames Mitmachen, Schweigen, Weiterkonsumieren, Verdrängen, reproduzieren westliche Gesellschaften diese Logik seit Jahrzehnten. “Bis in die Gegenwart leisten vor allem BIPoC weltweit erfolgreichen Widerstand gegen die Unterdrückung und Abwertung ihrer Wissens- und Glaubensvorstellungen.”
*Viele Formulierungen übernommen aus der Broschüre Kolonialismus & Klimakrise.
THESEN:
- Entfremdung von der Natur, den Lebewesen, von anderen Menschen und von uns selbst und unseren Gefühlen sind zu überwinden, vor allem im Globalen Norden. Wir wollen eine andere Kultur vorleben. Diese hat auch den Anspruch, widerstandsfähiger und resilienter im Umgang mit der herausfordernden gesellschaftlichen Zukunft in Deutschland zu sein.
Wir wollen nicht nur meckern: unsere Forderungen zeigen konkrete Schritte zu einer verbesserten Welt.
- Die Machtkonzentration bei wenigen sehr einflussreichen Menschen blockiert einen politischen und gesellschaftlichen Wandel. Sie hängen einer zerstörerischen Ideologie nach und prägen bewusst eine mediale Erzählung und Gesellschaftsbilder, die diese verinnerlicht haben. Wir müssen Widerstand leisten - in Solidarität mit den Menschen, die das schon so lange machen.
- Wir wollen Macht in die Hände der Bevölkerung legen, sie sollten die Entscheidungen treffen, um im Angesicht des Notfalls zu handeln. Das große Ziel ist die Machtverschiebung von Politik zu Bürger:innen. Das geschieht auch bereits, indem die Bevölkerung ihre eigentliche Macht sich nimmt.
- Unser parteipolitisches System ist ohnmächtig angesichts der notwendigen Veränderung. Gründe dafür umfassen zum Beispiel das Verfolgen von kurzfristigen Zielen aufgrund von 4-Jahres-Wahlperioden. Wir brauchen einen Systemwandel, eine Revolution, weil das der unserer Ansicht nach effektivste Weg ist, um Veränderungen voranzutreiben. Der Wandel wird nicht oder wenn nur langsam aus dem Parlament und nicht vonseiten der “Wirtschaft” kommen. Er wird nicht nur durch bessere Argumente, stärkere Petitionen, Mailkampagnen oder größere Demos kommen, und symbolischer Protest (auch Ungehorsam) ist wichtig, aber an diesem Punkt einfach nicht ausreichend. Es braucht mehr Bürger:innen, die in den zivilen Widerstand gehen und stören (zum Beispiel durch aufopfernde Aktionen wie den Hungerstreik oder das Erzielen von materieller Störung). Es ist wünschenswert, dass sich das politische System auch von innen transformiert und kann unseren zivilen Ungehorsam auch begünstigen, jedoch erachten wir das als schwieriger und langatmiger umzusetzen, als zivilen Ungehorsam.
- Politischer Druck bedeutet friedlichen zivilen Widerstand. Das bedeutet insbesondere das Kreieren von Dilemma-Situationen. Die Regierung geht auf unsere Forderung ein oder muss uns mit unverhältnismäßigen Repressionen entgegentreten, die einen Gegenwind verursachen (political jiu jitsu / backfiring / Gegenwind). Dabei funktioniert ziviler Ungehorsam eher über Druck (zwingt die Regierung) als über Überzeugung (überzeugt die Regierung, ihre Meinung zu ändern), auch wenn Letzteres wünschenswerter wäre. Dass dieses Mittel legitim ist, wurzelt aus der moralischen Pflicht, die wir haben, bei Ungerechtigkeit zu handeln. Wir haben das Recht auf unserer Seite. Wichtig bei alldem ist, dass wir mit dem Adressaten in Verhandlungen treten und unsere Proteste stoppen, sobald unsere Ziele erfüllt wurden (Kingian 6 principles). Wenn Verhandlungen uns nicht weiterbringen, dann gehen wir wieder in den Widerstand bis wieder genügend Druck aufgebaut ist, um an den Verhandlungstisch zu kommen.
- Wir sind strikt gewaltfrei und etablieren eine gewaltfreie Kultur in Verhalten und Sprache. Zwei Ansätze zur Gewaltfreiheit, die wir beide tragen (moralisch und strategisch).
(1) Strategisch: Weil es am effektivsten ist.
(2) moralisch: Weil es das richtige ist - Saytagraha & Ahimsa (Sanskrit: Festhalten an der Wahrheit & Gewaltlosigkeit).
Wir akzeptieren die Konsequenzen unserer Taten mit Namen und mit Gesicht. Wir achten die Verfassung und haben eine moralische Pflicht, uns an gerechte Gesetze zu halten sowie eine moralische Pflicht, uns ungerechten Gesetzen zu widersetzen.
- Wir glauben, dass es mit unseren Protesten nicht darum geht, gemocht zu werden. Wir tun Sachen, weil wir sie für richtig halten, weil wir politischen Druck aufbauen wollen und weil die Wahrheit über die Situation ans Licht kommen muss. Menschen werden sich uns anschließen, weil sie wissen, dass das Recht auf unserer Seite ist. Die Priorität ist nicht, Sympathien zu gewinnen oder Medienaufmerksamkeit zu bekommen. Die Regierung wird dazu gebracht (durch Dilemmasituationen), auf unsere Ziele einzugehen.
- Wir müssen Momentum und Dringlichkeit kreieren. Handelt jetzt, sonst erhöhen sich die Kosten später. Die Veränderung kommt so oder so.
- Ein wichtiger Moment kommt erst, wenn sich die Repressionen gegen uns verschärfen (bspw. einstweilige Verfügung durch die Regierung) oder wenn unser Spirit zu brechen droht. Das ist der Punkt, der uns von vorherigen Kampagnen unterscheidet und wir müssen umso stärker weitermachen. Der Protest hat Erfolg, weil er wiederholt wird und wir nicht wieder gehen, sondern dort immer weiter machen. Wir haben eine Haltung, dass wir alle Konsequenzen so annehmen. Es gibt einige vorhersehbare Punkte (z. B. die Androhung von hohen Repressionen, das Ignorieren, Belächeln und Bekämpfen von uns, …), auf die wir uns mental einstellen und uns nicht abbringen lassen. Die Repressionen werden sich verschärfen je erfolgreicher wir werden, das ist notwendig. Wir behalten immer einen Metablick: wir lassen uns nicht demotivieren und behalten die große Strategie im Blick.
- Wir bereiten uns in Prozesstrainings darauf vor, uns auch in Gerichtsverhandlungen (wenn gewünscht) selbst zu verteidigen und auch den Gerichtssaal als einen Ort des zivilen Widerstandes zu sehen.
- Sogenannte “Säulen der Unterstützung” (“pillars of support”) – wie z. B. Polizei, Kirche, Universitäten, Parteien, Medien – sind Institutionen der Gesellschaft, die die Macht der Regierung aufrechterhalten und ihre Macht ausüben. Wir versuchen Menschen weg von den Säulen der Regierung und hin zu unserer Bewegung zu ziehen, um höhere Legitimität zu bekommen und die Macht der Regierenden zu schwächen. Schaffen wir das, kann die Regierung so nicht weitermachen.
- Wir erwarten, dass revolutionäre Veränderung in einem Land durch den erfolgreichen Widerstand gegen eine nationale Regierung beginnen und sich dann ausbreiten wird (“Demonstrationseffekt” / Diffusion). Wir treten eine Welle in einem Land los, die sich auf andere überträgt. Dabei glauben wir, dass sich die Revolution eher dadurch verbreitet, dass wir uns mit anderen international vernetzen und sich unsere Ideen verbreiten (agential diffusion), als dass es sich durch Ereignisse wie Dürren oder Wirtschaftskrisen verbreitet (structural diffusion). Nur wenn der revolutionäre Funke in andere Länder überspringt kann globaler Wandel klappen.
- Wir folgen der Logik der “ Demand escalation”. Wir haben mit kleinen Forderungen angefangen, um die Unfähigkeit der Regierung zu zeigen. Im Angesicht der steigenden Repressionen und weiteren Versteiftheit der Regierung konnten wir die Forderungen erhöhen.